Parteiprogramm trotz Liquid Feedback

Warum der Einsatz von Software zur basisdemokratischen Entscheidungsfindung doch kein Ersatz für ein Grundsatzprogramm einer Partei darstellt

Wenn Piraten bisher auf ihr thematisch beschränktes Parteiprogramm angesprochen wurden, erklären sie geduldig, dass ihr abstandsquadratischer Neuerungswert gerade darin besteht, keines haben zu müssen: Mit Hilfe der Software Liquid Feedback leben die Piraten die Diskussionskultur der Informationsgesellschaft von morgen vor. Was momentan innerparteilich Anwendung findet, kann und soll später aber auch dahin geöffnet werden, dass Bürger dem Entscheidungsfindungsprozess nicht nur beiwohnen, sondern auch mitwirken können. Und genau dadurch muss das parlamentarische Verhalten eben nicht vier Jahre im Vorraus festgelegt werden. Tschüss Wahlversprechen, tschüss Wahllüge.

Aber muss man's denn dann nicht auch durchziehen und die so zustande gekommenen Entscheidungen uneingeschränkt akzeptieren, sie also eins zu eins ins Parlament tragen? Nach einiger Überlegung war ich zunächst zu den Schluß gekommen, das Ideal der technologischen Lösung habe auch die Lossagung von jedem programmatischen Standpunkt zwingend zur Folge. Ich befürchtete sogar, die Piraten könnten sich an dem unerkannten Widerspruch noch lange die Haare ausraufen. Doch dann stellte ich einen Denkfehler fest.

Denn man darf die Piraten nicht mit Liquid Feedback gleichsetzen. Die Piraten sind heute die einzige Partei, der man zutrauen wird, Partizipation an der Entscheidungsfindung im Laufe der Jahre softwaregestützt zu realisieren. Aber das wird nicht so bleiben. Später oder früher werden sich alle, die sich noch in der Parteienlandschaft halten wollen, daran machen die Rezepte mit heimischen Zutaten nachzukochen.

Eine technologische Monopolstellung will sowieso niemand, weder die Entwickler von Liquid Feedback noch (gute) Politiker. Und für ihre Inhalte werden andere Parteien jeder Gestrigkeit zum Trotz weitergewählt.Trotz Liquid Feedback etc. werden sich also auch in Zukunft die Interessenslagen wie bisher auf mehrere Parteien verteilen. Was im Umkehrschluß heisst, dass die Piratenpartei sich auch mit Fug und Recht programmatisch ausrichten darf. Und mit den Bekenntnissen zur Informationstechnologie lassen sich die bisher entwickelten Standpunkte zu Bildung, sozialer Gerechtigkeit, Bürgerrechte und mehr ja bislang auch recht gut in Einklang bringen.

Melchior blausand Montag 26 September 2011 at 11:33 pm | | nicht unpolitisch

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