Aus unserer Serie "Liebling, ich habe das Auto verkauft!"

Seit mehr als einem Jahr versuche ich bereits unentwegt, mir das Angebot der deutschen Bahn schönzusaufen. Leider völlig vergeblich.

Die toll funktionierende Touch&Travel Applikation ist bis heute in 90% meiner Bahnreisen (mit dem RE ins Ruhrgebiet und zurück) nicht zu gebrauchen. Das wäre halb so schlimm, könnte man wenigstens umgekehrt Tickets für eine bestimmte Fahrt online kaufen, ohne dafür vor gefühlte 12 Registrierungsvorgänge inklusive mehrbändiger AGB, Passwortkaskaden und am Schlimmsten: die Wahl zwischen Kreditkarte und Einzugsermächtigung gestellt zu sein. Hallo Kunden-#paranoia?

"Entschuldigung, aber ihr seid immer noch nicht die Lufthansa."

Vorgestern bat mich mein Bruder, mal eben nachzusehen, wie es wäre, wenn er den Leihwagen in Lübeck abstellte, und mit der Bahn nach Hause führe. Voller Schrecken stellte ich fest, dass man nach neun abends nicht mal mehr von Hamburg nach Würzburg käme. GAR nicht? Doch: Nachtfahrt mit eineinhalbstündigem Aufenthalt im schönen Fulda, so von halb sechs bis kurz nach sieben morgens, Fahrzeit insgesamt neuneinhalb Stunden. Mich beschleicht dieses vertraute Gefühl, Opfer einer inkompetenten Übermacht zu sein...

Teure Kundenbondage im Leistungskeller

Hätte ich heute für 244€ eine BahnCard 50 gekauft, um über Ostern für das achtfache des Spritpreises nach Würzburg zu fahren (360km * 7l/100km * 1.60€/l / 5Plätze = 8€, bei freier Musikwahl und Anbindung an fünf Start- und fünf Zielhaustüren), so wäre ich ja gezwungen, in den nächsten 365 Tagen den breakeven zu erreichen. Allein mit den verbleibenden Reisen - also nach Abzug all derer, bei denen die Bahn keine Schnitte macht - müsste ich also für 500€ günstige Reiseverbindungen finden.

Nun gehöre ich durchaus zu den Viel- und Fernreisenden. Mit dem Auto war jedoch erstens die ganze Familie mit an Bord, was spätestens ab nächstem Jahr (Kind wird 6) auf der Schiene ein Vermögen kosten würde. Zweitens konnte ich - dank einer genialen Applikation von mitfahrgelegenheit.de sogar sehr spontan und verlässlich - immer genug Studenten mitnehmen, um den ökologischen Fußabdruck aufzuwiegen. Oder eben mein eigenes Auto ganz stehen lassen und selbst Mitfahrer sein. Unter'm Strich eine verhältnismäßig sehr freie Auswahl im Vergleich zu dem Monopolterror, dem ich als BahnCard-Besitzer ausgesetzt wäre.

Meinen Standpunkt zur gegenwärtigen Lage der deutschen Bahn AG insgesamt muss ich deshalb mit erhobener Faust deklarieren:

Es kann vorne und hinten nicht sein, dass die Bahn, ein Massenverkehrsmittel, das mit Metall auf Metall fährt, also energetisch hochoptimiert, 2012 für den Einzelnen immer noch teurer ist, als die entsprechende Fahrt im Autofossil, das mit Gummi auf Asphalt, also mit einem Abfallstoff aus der Erdölveredelung auf einem anderen radiert. (Und da sind die Verbindungen von Haustüren zu Bahnhöfen noch gar nicht mitgerechnet!)

Hinter diesem skandalösen Umstand steckt einer, wenn nicht der gravierendste Missstand unserer Gesellschaft:
Der Verbrauch von Ressourcen unserer Erde insgesamt wird trotz ständiger Klimakonferenzen weiterhin so gut wie gar nicht besteuert - gemessen an einer Besteuerung, die man beherztes politisches Handeln gemäß wissenschaftlicher ökologischer Erkenntnisse nennen dürfte.
Dabei wäre das demokratisch erreichbar, würden wir erstens die Lobby der ressourcenhungrigen Industriezweige nur konsequent genug mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln vor die Tür setzen. Zweitens, und das ist eine Aufgabe, die wir nun auch bald schon ein Jahrhundert lang vor uns herschieben, ist für die Steuerungsprozesse, die wirtschaftlich und ökologisch anstehen, die Politik auf nationaler Ebene inzwischen bekanntermaßen völlig zahnlos.  Wir kriegen es aber nicht auf die Reihe, internationale Gremien so aufzurüsten, dass sie global wirksam sein und gleichzeitig noch demokratisch bedient werden können. Nunja, welche Entwicklungen uns dabei helfen werden, liegt ja auf der Hand...

Um abschließend den Bogen zum Problem Mobilität zu schlagen: Die Geschäftsentwicklung der deutschen Bahn AG verläuft sichtbar zum Wohle Weniger. Im Verlauf der Umwandlung in einen marktfähiges Unternehmen haben die Verkehrsminister des Bundes es schandhafterweise unterlassen, staatliche Auflagen zu formulieren, mit denen die soziale Funktion der bisherigen Bundesbahn aufrechterhalten hätte werden können. Die Infrastruktur ist Aufbauleistung und Eigentum der deutschen Öffentlichkeit, eine betriebswirtschaftliche Verpflichtung besteht weiterhin nur ihr gegenüber - und keinesfalls gegenüber einer Gruppe von Aktionären. Gerade jetzt, wo der Börsengang vom Tisch ist, muss der Schienenverkehr daher unbedingt zurück in die Hände demokratisch steuerbarer Betriebe gelegt werden.

That's my two cent Stück on the railway track.

Melchior blausand Saturday 31 March 2012 at 11:56 pm | | nicht unpolitisch
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